Stillstand öffnet neuen Raum
(Artikel im Harburger Blatt erschienen am 25.04.2025)
7 Jahre inszenieren oder nicht inszenieren? – the empty room spielt Hamlet
Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better. Samuel Beckett, Worstward Ho
„Jemals versucht. Immer gescheitert. Sei's drum. Wieder versuchen, wieder scheitern, besser scheitern.“ So beschreibt Samuel Beckett nicht nur eine existenzielle Haltung zum Leben, sondern auch das Wesen des Theaters. In dieser Haltung erkennt sich das Harburger Theaterkollektiv The Empty Room wieder. Seit sieben Jahren arbeitet die Gruppe an ihrer Inszenierung von Shakespeares Hamlet — sieben Jahre, in denen das Leben weiterging: mit Umzügen, mit gefeierten Hochzeiten, mit geborenen Kindern. Die Pandemie kam, unterbrach alles – und ging wieder. Wie Beckett schreibt: Es kommt auf das Weitergehen an. Siebenmal gefallen, achtmal aufgestanden.
Der Versuch des Theaters ist immer ein prekärer: Er droht zu scheitern, und gerade darin liegt seine Kraft. Nur in dem leeren Raum zwischen Gelingen und Scheitern kann ein lebendiges Theater überhaupt erst entstehen — so beschreibt es Peter Brook in seinem einflussreichen Werk The Empty Space. In Anlehnung daran entstand The Empty Room: Der Name ist Programm. Mit minimalen Requisiten, ohne Bühnenbild, entsteht das Stück aus der Präsenz der Spielenden, aus dem Moment, aus der Beziehung.
Gegründet wurde The Empty Room im Jahr 2001 am Heisenberg-Gymnasium als zweite Theatergruppe neben der etablierten Hei-Society von Theaterlehrer Jürgen Weppler. Doch anders als dort suchten hier Schüler:innen nicht eine Leitung, sondern Gleichgesinnte. Mit Kai Springer fanden sie auch einen Lehrer als Mitspieler, blieben aber ihrem gleichberechtigten Ansatz treu: Keine Regie, keine Hierarchie – Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen. Aus dieser Idee heraus wurde aus der spielbegeisterten Gruppe zunächst ein Lesekreis. Die Entscheidung für das erste Stück dauerte ein Jahr: Es wurden Texte gelesen, verworfen, diskutiert – oft bis tief in die Nacht. Am Ende fiel die Wahl ausgerechnet auf das Stück, das gleich zu Beginn auf dem Tisch lag: Georg Büchners „Woyzeck“.
In den folgenden Jahren entstanden weitere Produktionen: Die Sklavin ihres Geliebten von Lope de Vega (2004), Männerhort von Kristof Magnusson (2006), Volpone von Ben Jonson (2008/2009). Dann kam der Alltag. Studienabschlüsse, Berufseinstiege, Familie – das Spiel wurde leiser. Fünf Jahre später aber kehrte The Empty Room zurück mit Die Heimkehr von Harold Pinter (2014).
Vor Hamlet versuchte sich die Gruppe an Don Quijote – auch er eine zerrissene Figur, gefangen zwischen dem Gegebenen und der Vorstellung. Auch hier geht es um das Scheitern im Versuch, das Unmögliche zu wagen – ganz in dem Sinne, wie Beckett das Scheitern zur Maxime erhebt. Der Versuch, Cervantes’ Held auf die Bühne zu bringen, blieb unvollendet – doch vielleicht war genau das die notwendige Vorbereitung. Denn was folgte, war nicht das altbewährte Inszenieren eines fertigen Stücks, sondern der Prozess des Versuchs: sieben Jahre mit Hamlet.
Die Proben zu Hamlet begannen – wie bei jeder Inszenierung von The Empty Room – ohne feste Rollen, ohne festgelegten Ablauf. Szenen wurden gemeinsam erprobt, Stimmen ausprobiert, Haltungen diskutiert. So entwickelten sich im Spiel unterschiedliche Sichtweisen der Beteiligten auf Hamlet und Ophelia, auf den König und die Mutter. Während die Gruppe dem Sinn – und gelegentlich auch dem Unsinn – von Hamlet nachspürte, ging das Leben weiter. Es wurde geheiratet und aus Hamburg weggezogen, andere wurden Eltern, manche verschwanden in den Mühlen des Berufslebens oder kehrten aus ihnen zurück. Die Pandemie schließlich stoppte das Projekt vollständig.
Doch gerade dieser erzwungene Stillstand öffnete einen neuen Raum: Die Gruppe begann, tiefer in Shakespeares Sprache und ihre deutschen Übersetzungen einzutauchen. Aus der langsamen Lektüre entstand eine eigene Textfassung, in der viele Schlüsselstellen neu übersetzt wurden – etwa der berühmte „Sein oder Nichtsein“-Monolog oder die Nachricht von Ophelias Tod.
Ophelias Tod
Da ist eine Weide, über den Bach geneigt Zeigt ihre gräulich Blättlein dem glas'gen Strom Dorthin mit fantastischen Girlanden Von Krähenstrauch und Gänseblümchen kam sie das Grau zu schmücken Dort, an den hängenden Zweigen, unkrautbekrönt Hielt sie sich, bis ein neidisch Holz brach Mit ihrem Unkrautschatz und ihrer Selbst Fiel sie in den weinend Bach. Ihr Kleid verschwamm Meerjunfrauengleich, als es sie trug. Sie sang Bruchstücke alter Lieder, Als könnt sie ihre Not nicht greifen Oder wie ein Wesen heimisch diesem Element Doch lang konnt' es nicht sein Bis ihr Kleid, schwergetrunken Dies arme Wesen von ihren Melodien zog Zum trüben Tod
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Nun, im verflixten siebten Jahr bringt the empty room seinen Hamlet auf die Bühne. Darren Mc Veigh, Kai Springer, Christopher Sander und Moritz Meyer sagen es endlich - „Wir sind Hamlet.“ Suchend, zweifelnd, gegenwärtig. Wie Peter Brook schreibt, wird jedes Stück dreimal erschaffen: durch den Autor, durch die Spielenden – und schließlich im Blick des Publikums. Dort, im Dazwischen, wird es lebendig – zwischen Scheitern und Gelingen. Aufführungen:
- Do, 08.05.25, 19:30 Uhr, Heisenberg-Gymnasium, Triftstraße 43
- Fr, 09.05.25, 19:30 Uhr, MUT! Theater, Amandastraße 58
- Sa, 10.05.25, 19:30 Uhr, Elbdeich e.V., Moorburger Elbdeich 249
- So, 11.05.25, 16:00 Uhr, Gartenkunstnetz e.V., Eifflerstraße 35
- Fr, 16.05.25, 19:30 Uhr, Heisenberg-Gymnasium, Triftstraße 43
- Sa, 17.05.25, 20:00 Uhr, Kellertheater, Johannes-Brahms-Platz 1